Herzlich Willkommen im Gefühls-Chaos
„Pubertät ist, wenn man grübelt, und nicht weiß, worüber.“ So treffend formulierte es Peter Silie.
Und dieses Chaos packt man nun in einen Jungen mit Autismus und ADHS. Eine wirklich interessante Mischung. Man könnte es auch brandgefährlich oder explosiv nennen.
Aber da stehen wir nun – wie viele andere auch – und versuchen unser Bestes.
In einem Haushalt mit drei Jungs und meinem Mann geht es meistens schon eher turbulent zu, doch wenn zum alltäglichen Chaos noch die Wackelzahnpubertät des Minis, das „normale“ Gerangel des Midi und die Pubertät vom Maxi dazukommen, ist es wirklich alles andere als leicht. Und ich denke meine AuDHS macht es auch nicht einfacher.
Die letzten Tage und Wochen waren nicht nur katastrophal, doch jeder Tag war extrem schwer. Für die Jungs, für meinen Mann und auch für mich. Die Nerven aller lagen blank und jeder fühlte sich missverstanden und unbeachtet.
Es kam also, wie es kommen musste.
Es krachte wieder zwischen uns Eltern und dem Maxi. Denn egal wie viel Verständnis man für die schwere und unberechenbare Zeit der Pubertät aufbringt, gewisse Regeln sollen auch dann eingehalten werden. Ich denke jeder, der sich an seine eigene Reise zum Erwachsenen erinnert, oder an die Zeit mit seinem Pubertier, oder sogar gerade mittendrin ist, sieht es ähnlich.
Und egal wann und wo, es scheinen immer dieselben Problemfelder zu sein. Auch egal ob neurotypisch oder neurodivers. Hausaufgaben werden nicht gemacht, das Zimmer sieht aus wie ein Saustall und egal was man seinem Pubertier sagt, man erntet Gestöhne, Gejammer und Augenrollen.
Und an diesem einem Tag war es wieder so bei uns. Vor allem mein Mann und Maxi kommen nur noch schwer miteinander klar, obwohl sie sich innig lieben. Es flogen die Fetzen.
Wäre es ein Comic gewesen, wären wir wohl im Kreis gestanden und jeder hätte mit jedem diskutiert und gestritten.
Der unerwartete Weg
Doch ich muss sagen, auch wenn diese Situationen sehr unschön sind (auch wenn sie normal sind) bin ich stolz darauf, dass vor allem unser Maxi trotz Pubertät und Impulskontrollstörung keine persönlichen Beleidigungen oder Kraftausdrücke verwendet. Mir gelang das in dieser Zeit definitiv nicht.
Nachdem sich der größte Sturm gelegt hatte, versuchte ich in ruhigem Ton mit meinem sichtlich unglücklichen Maxi zu sprechen. Er tadelte uns Eltern, dass er nicht wie ein Erwachsener behandelt werden will. Aber eben auch nicht wie ein Kind. Es war also mehr als klar, dass unsere Versuche, wie wir mit ihm umgingen, nicht wirklich praktikabel waren. Ich fragte ihn dann, wie er denn behandelt werden möchte, da es für mich einfach nicht klar war. Und als Antwort bekam ich die patzige Aussage „Google es doch!“ natürlich mit dazu passendem Augenrollen. Puhhhh- ich kämpfte wirklich mit meiner Impulskontrolle, alles schrie in mir. Ich wollte ihn einfach anschreien und klar machen, dass ich hier bemüht bin bessere Wege für uns als Familie zu finden. Aber ich entschied mich für ein knappes „Okay“ und verließ sein Zimmer.
Eigentlich dachte ich, dass ich das Thema Pubertät ganz gut angehe. Anscheinend jedoch war das überhaupt nicht so für meinen Sohn. Ich gestand mir Stück für Stück ein, dass meine Sicht auf die Pubertät wohl doch ganz anders war als die seine. Immerhin war ich damals ein undiagnostiziertes AuDHS Mädchen und er ist ein diagnostizierter Junge. Die Unterschiede könnten wohl kaum größer sein.
Also googelte ich tatsächlich herum. Ich las verschiedenste Elternratgeber, Blogs und Insta-Influencer-Seiten. Da sich gewisse Ratschläge immer wieder fanden, fing ich an mir meine eigene Liste zusammenzuschreiben.
Bewaffnet mit meiner Liste bat ich dann meinen Maxi und Mann am Küchentisch zur Familiensitzung. Die zwei Kleineren durften in der Zeit etwas schauen. Oh Mann, dieses Gefühl war für mich heftig, fühlte ich mich auch extrem getriggert und an meine eigenen Familiensitzungen in meiner Pubertät erinnert. Auch meinem Mann und Maxi merkte man das Unbehagen deutlich an. In Ermangelung einer besseren Idee fingen wir an meine Liste Punkt für Punkt zu besprechen. Anfänglich nur ich, mit der Zeit brachte sich auch mein Mann mehr und mehr ein. Und etwas später fand auch unser Maxi seine Worte.
Wir besprachen:
- den Abnabelungsprozess und was es für ihn und uns bedeutet
- unser Verständnis für diese für ihn aufwühlende Zeit
- dass wir da sind, egal wann, wo oder wofür und weshalb
- unsere und seine Pflichten
Zum Abschluss arbeiteten wir gemeinsam Regeln und auch Strafen aus. Was uns in unserer Familie wichtig ist und welche Konsequenzen es hat, wenn man sich trotz mehrmaligem Ermahnen nicht daran hält. Zu meiner Überraschung lief es hier auch sehr harmonisch. Wir fanden wirklich gute Kompromisse oder waren eh von Anfang an derselben Meinung. Wir legten fest, dass die meisten Regeln natürlich für alle gelten – also auch für uns Eltern. Haushaltsaufgaben fixierten wir an Tage, damit das Einhalten leichter wird. Wir als Eltern verpflichteten uns auch weiter liebevoll zu erinnern, auch wenn es uns teils zum Hals heraushängt.
Alles in Allem haben wir ein sehr konstruktives und erfolgreiches Gespräch geführt.
Am Ende dieser Familiensitzung kam unser Maxi und umarmte jeden von uns für einige Sekunden. Eine wunderschöne, liebevolle und wertschätzende Geste, die mein Mann und ich sehr genossen und nur allzu gern erwiderten.
Seit nun über einer Woche versuchen wir uns alle an dieses gemeinsam geschaffene Regelwerk zu halten und ich bin wirklich sehr glücklich darüber, wie gut es funktioniert.
Natürlich sind dadurch nicht alle pubertätsbedingten Problemfelder verschwunden und jene von Autismus und ADHS erst recht nicht, aber es ist wesentlich harmonischer und ruhiger in unserer Familie. Mir ist auch klar, dass es wieder eine Krisenzeit geben wird, aber jetzt für diesen Moment sind wir alle glücklich. Wir fühlen uns gesehen, verstanden und ernstgenommen.
Ich denke, dass es wirklich manchmal nicht schadet „nachzugoogeln“ und sich seinen eigenen Plan aus den verschiedensten Möglichkeiten zu erarbeiten.
Eure Christin