Die Kunst der Energie-Einteilung – was für ein hochgestochener Titel und doch so treffend.
Denn als neurodivergenter Mensch ist die Energie-Einteilung alles andere als einfach. Die Problematik entsteht vor allem durch die Unterschiedlichkeit und Widersprüchlichkeit der Außenwelt und der eigenen inneren Möglichkeiten. Was ich meine, ist, dass uns die Außenwelt täglich zeigt, was alles möglich ist und auch erwartet und vorausgesetzt wird. Unsere eigenen inneren Möglichkeiten aber teils erheblich davon abweichen. An manchen Tagen weniger und an anderen Tagen um so mehr.
Dieses fast tägliche „vor Augen haben“, der eigenen vermeintlichen Unfähigkeit bringt wieder eigene Herausforderungen mit sich. Oft leiden vermehrt Nichtdiagnostizierte oder Spätdiagnostizierte an Komorbiditäten wie Depressionen und chronischem Burnout.
Für Einen selbst ist es oft schwer und teils nahezu unmöglich die eigenen Energiereserven zu verstehen und „richtig“ einzuteilen. Für unser Umfeld ist es oft herausfordernd und nur schwer nachvollziehbar, wie es um unsere Energie bestellt ist.
Und darum möchte ich hier auf die für mich bisher einleuchtendste Erklärung eingehen.
Die Löffel-Theorie
Diese Theorie ist eine Metapher, die verwendet wird, um die begrenzte Energiemenge zu erklären, die Menschen mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen zur Verfügung haben. Jeder Tag beginnt mit einer bestimmten Anzahl von „Löffeln“ (Energiestücken), und jede Aktivität kostet eine gewisse Anzahl von Löffeln. Sollten die Löffel aufgebraucht sein, sind die Energiereserven erschöpft, und es können keine weiteren Aktivitäten mehr in Angriff genommen werden, bis man sich erholt hat.
Die Probleme die mit der Energie bleiben
Auch wenn man mit Hilfe dieser tollen, veranschaulichten Theorie ein Gefühl für sein eigenes Energielevel bekommt, so muss man sich doch auch sehr mit sich selbst beschäftigen. Zumindest geht es mir so.
Denn es stellt sich nicht nur die Frage welche Aktionen und Tätigkeiten wie viele Löffel verbrauchen, sondern auch wie schnell sich Löffel regenerieren. Zusätzlich kommt bei mir, und sicherlich auch bei anderen, hinzu, dass ich nicht jeden Tag gleich viele Löffel zur Verfügung habe und eine Tätigkeit unterschiedlich viele Löffel an verschiedenen Tagen braucht.
Mal ist das Aufstehen ganz einfach und verbraucht nur einen Löffel. An einem anderen Tag ist es ein Kampf überhaupt aus dem Bett zu kommen und so verbraucht es schon vier der wertvollen Löffel.
Ein für mich noch schwerer einzuschätzender Punkt sind soziale Interaktionen. Manchmal sind solche Kontakte einfach angenehm und kosten je nach Länge nur wenige Löffel. Es kommt aber auch vor, dass es für mich sehr anstrengend ist wegen den Gesprächsthemen, der Umgebung oder einfach weil ich an diesem Tag nicht so umgänglich bin.
Ich habe für mich herausgefunden, dass es Tätigkeiten gibt die relativ konstant im Verbrauch der Löffel sind und andere, wie soziale Interaktionen, eine unterschiedliche Anzahl von Löffel brauchen. Was für mich auch einen großen Unterschied macht ist mein innerer Widerstand, den ich mal mehr und mal weniger bei verschiedenen Erledigungen habe. Teils kann ich mich dann ganz gut motivieren und teils ist es ein regelrechter Kampf. Ein Kampf zwischen dem Wissen, dass etwas erledigt werden muss, und der inneren Verweigerung, weil mein Gehirn meint, dass bei dieser Tätigkeit oder nach erfolgreichem Abschluss zu wenig Dopamin freigesetzt wird. *Danke liebes Hirn*
Dieser Kampf hat natürlich auch seine Auswirkung auf meine Energie. Was es nicht unbedingt leichter macht.
Gott sei Dank habe ich einen wundervollen Ehemann. Einen der mich, auch wenn er mich teils gar nicht verstanden hat, immer schon unterstützt hat. Er ist auch den Weg der Diagnose gemeinsam mit mir gegangen, jede einzelne Sitzung. Meine Diagnosen (ASS und ADHS) haben nicht nur mir die Augen geöffnet, auch er versteht jetzt viele meiner Merkwürdigkeiten besser und kann es auch leichter annehmen, auch wenn er es mal nicht versteht. Er ist für mich eine enorme Stütze. Er ist derjenige der am öftesten kocht, putzt und einkaufen geht. Ohne ihn wäre meine tägliche Überforderung wohl kaum zu ertragen.
Leider ist mir selbst auch sehr schmerzlich bewusst, dass viele ADHSler und Autisten keinen Partner haben der sie unterstützt, oder sie haben einen, aber das echte Verständnis und die Unterstützung fehlt.
Ich hoffe sehr, dass jeder die nötige Unterstützung in seinem Umfeld erfährt. Und ich hoffe, dass die Entwicklung der KI und Robotik möglichst schnell voran schreitet. Denn ich kann mir nichts schöneres vorstellen als einen privaten Koch. Denn kochen stellt mich vor extrem große Herausforderungen. Zum einen weil der Aufwand für mich oft extrem erscheint. Nicht nur das kochen an sich, auch die Vorarbeiten und das Aufräumen und putzen danach. Zum anderen bin ich mir mittlerweile sehr bewusst, wie wichtig die richtige Ernährung für mich ist. Doch oft fehlt mir die Idee was ich essen könnte oder ich kann mich nicht entscheiden. So ein privater Koch hätte, so denke ich, für viele Betroffene, einen großen Mehrwert.
Ich würde mich freuen, wenn auch ihr eure Erfahrungen mit mir und anderen teilt, damit wir alle voneinander lernen können und es vielleicht etwas einfacher wird.
Eure Christin